'Der Dienstbetrieb ist nicht gestört'
Die Deutschen und ihre Justiz 1943-1948
Zusammenfassung
Kaum beirrt von Bombenkrieg, Kapitulation und alliierter Besatzung liefen Gerichtsverfahren vor und nach 1945 einfach weiter, mit denselben Akteuren, nach den gleichen Regeln. Der Rechtshistoriker Benjamin Lahusen deckt in seiner fulminanten Studie unheimliche Kontinuitäten der deutschen Justiz auf und zeichnet so das eindringliche Bild einer Gesellschaft, die den großen Einschnitt so klein wie möglich hielt.
Stuttgart, im September 1944: Das Justizgebäude wird durch neun Sprengbomben und zahlreiche Brandbomben weitgehend zerstört, doch stolz meldet der Generalstaatsanwalt, dass bereits am nächsten Morgen «noch in den Rauchschwaden... eine Reihe von Strafverhandlungen durchgeführt» wurden. Auch andernorts wird der Dienstbetrieb in teils noch brennenden Gebäuden aufrechterhalten, später selbst unter Artilleriebeschuss. Benjamin Lahusen hat sich die Akten zahlreicher Gerichte – darunter des Amtsgerichts Auschwitz – aus den Jahren vor und nach 1945 angesehen und beschreibt höchst anschaulich, wie weder «Endkampf» noch staatlicher Zusammenbruch den juristischen Dienstbetrieb unterbrechen konnten. Er erklärt, warum ein Stillstand der Rechtspflege unter allen Umständen vermieden werden sollte, und zeigt, wie nach dem Krieg altgediente Juristen pflichtbewusst das alltägliche Recht des Dritten Reichs so weiterführten, als wäre nichts passiert. Wenn es noch eines Beweises dafür bedarf, dass es 1945 keine «Stunde Null» gab, dann liegt er mit diesem glänzend geschriebenen Buch vor.
- 2–8 Titelei/Inhaltsverzeichnis 2–8
- 9–12 Vorwort 9–12
- 13–40 Einführung: Außerordentliche Normalität 13–40
- Papierwelt
- Justiz im totalen Krieg
- Ius stat: Wenn die Rechtspflege stillsteht
- Schnitt-Stelle 1945
- Eine Stunde Null gab es nicht
- Geteilte Normalität
- Von der rohen Gewalt zu den Akten
- Zwischen Chaos und Kosmos
- 41–74 1. Die Freuden der Pflicht: Dienstbetrieb im Endkampf 41–74
- Die Dogmatik des Justitiums
- Ius non stat: Die Vermeidung des Stillstands
- Luftkrieg und Luftschutz
- Schriftgut
- Beamtenpflichten: Justizdienst als Kriegsdienst
- Der Geschäftsbetrieb und seine Helden
- Allerletzte Erledigungen
- Fiat iustitia et pereat mundus
- 75–108 2. Das Recht der guten Leute: Auf den Spuren der deutschen Seele 75–108
- Neustadt, eine Montage
- Im Schatten des deutschen Waldes
- Germanische Sonne
- Fernab des Krieges
- Die Rechtswahrer der Provinz
- Jahreschronik des Neustädter Strafrechts
- Eine Frage der Ehre
- Endkampf um die Kehrwoche
- Widerstand durch Unterlassen
- Rechtsbewährungsprinzip und Wiederverwendung
- Das richtige Leben im richtigen
- 109–140 3. Die Parzellierung des Todes: Das Amtsgericht Auschwitz und die Grundbücher der IG Farben 109–140
- Grund und Buch
- Eine Kleinstadt im neuen deutschen Lebensraum
- Aufbau Ost
- «Ethnische Flurbereinigung»
- Juristisches Bodenpersonal
- Die Auflassung des Betriebsgeländes
- Ein Amtsgericht wird überflüssig
- Räumen und Reinwaschen
- Grundbuch der Erinnerung
- 141–186 4. Lastenausgleich: Das Sondergericht Aachen und sein letzter Richter 141–186
- Hans Keutgen: Ein normaler Lebensweg
- Der Bilderbuchjurist
- Volksschädlinge, Schwarzschlachter, Lebensmittelkartenfälscher
- Sonderrichter und Scharfmacher
- Die Evakuierung der Stadt
- Die Front rückt näher: Ausweichquartiere
- Rundreise im Reich
- Aachener Normalrichter, bekannte Gesichter
- Selbstjustiz: «Weg legen»
- Provinzfürst mit kassierter Vergangenheit
- Trennungsentschädigung
- Rechtsmensch «bis zur eigenen Auflösung»
- 187–232 5. Auf der Flucht: Die Verlagerung der Gerichtsbehörden im Winter 1944/45 187–232
- Wohin mit dem OLG Stettin?
- Übung für den Ernstfall: Parole «Frühlingsfest»
- Hoffnung auf Rückkehr: «z. Zt.»
- Die Macht des Papiers
- Erwartung des Untergangs: «noch»
- Wiederaufnahme des Dienstes
- Sonder-Sondergerichte
- Akten und Stempel: verbrennen, vergraben, vernichten
- Gerichte unter Zugzwang
- Anschlussverwendung
- Weitherzigkeit ist keine juristische Kategorie
- Das Ende
- 233–262 6. Zwischen den Jahren: Der Stillstand der Rechtspflege im Sommer 233–262
- Nichts aus dem Nichts
- Die Entreichlichung der Justiz
- Geschäftsbetrieb in der Stunde Null
- Alliierte Störungen
- Neue Volksjuristen im Osten
- Altgediente Volljuristen im Westen
- Recycling
- Rechtshängigkeit: Die Last der Altfälle
- Rechtsfriede, endlich
- 263–294 7. Die Abwicklung: Der Krieg und sein langes Ende 263–294
- Selbstbetrug: Das Justitium von 1945
- Die Verbannung des Krieges aus der Rechtsordnung
- Alte neue Normalitäten
- Abwicklungsstellen
- Altpapier
- Rechtstransfer aus den verlorenen Gebieten
- Rechtsvergleichung oder Ein Gesetz, das niemand mehr braucht
- Schlussstriche und geflüchtetes Schriftgut
- 295–306 Epilog: Der Traum vom echten Leben 295–306
- Allmachtsfantasien
- Normalität als Strategie
- Zivilisation oder Perversion
- 307–310 Dank 307–310
- 311–372 Anmerkungen 311–372
- 373–381 Quellen 373–381
- 382–382 Personenregister 382–382
- 383–384 Ortsregister 383–384
- 385–385 Zum Buch 385–385