Ernst Troeltsch
Theologe im Welthorizont
Zusammenfassung
Ernst Troeltsch (1865 - 1923) ist einer jener Riesen, auf deren Schultern so viele Gelehrte stehen, dass ihr eigenes Bild unscharf wird. Der renommierte Theologe, Historiker und Troeltsch-Experte Friedrich Wilhelm Graf verleiht in seiner meisterhaft geschriebenen Biographie einem Theologen, Soziologen, liberalen Politiker und Zeitdiagnostiker scharfe Konturen, den die Frage umtrieb, wie sich Religion und Moderne – trotz aller Widerstände von beiden Seiten – in ein zeitgemäßes Verhältnis zueinander setzen lassen. Weit über Leben und Werk Ernst Troeltschs hinaus ist seine Biographie ein bestechend klarer Beitrag zu einem bis heute virulenten Problem.
Als Religionssoziologe und Historiker steht Ernst Troeltsch im Schatten seines Heidelberger Freundes und Kollegen Max Weber. Konnte er als Theologe überhaupt ein «wertneutraler» Sozialwissenschaftler sein? Oder war er gar kein richtiger Theologe? Beides zusammenzubringen irritiert bis heute und war doch, wie Friedrich Wilhelm Graf zeigt, Troeltschs ureigenes Anliegen, das für ihn politische Bedeutung hatte. Troeltsch erforschte die Kulturbedeutung der Religion, um den Protestantismus aus traditionellen kirchlichen und dogmatischen Bindungen zu befreien. Nach dem Ersten Weltkrieg trat er als liberaler Politiker für die Weimarer Republik ein und rückte in seinen berühmten zeitdiagnostischen Kommentaren die Probleme der Gegenwart in einen «Welthorizont». Graf rekonstruiert die lebens- und werkgeschichtlichen Konstellationen, die den liberalen Protestanten prägten, und erhärtet damit auf brillante Weise Ernst Troeltschs Überzeugung, dass sich die eigentliche Bedeutung einer Person oder Sache erst in ihrer konsequenten Historisierung erschließt.
- 2–12 Titelei/Inhaltsverzeichnis 2–12
- 13–28 Einleitung: Der Vielspältige 13–28
- Reden am Sarg
- Lebenswelten und Trauergemeinde
- Verachtet, vergessen, aber nicht erledigt
- 29–50 1. Jugend in Melanchthons Reichsstadt 29–50
- Familienbande: Vorfahren und Stämme
- Familienleben: Der Vater und die Geschwister
- Im Hause eines Arztes und Naturliebhabers
- Konkurs als Katastrophe
- «Immer besonders verbunden»: Die Mutter
- Der Tod des Vaters
- 51–66 2. Lutherischer Neuhumanismus: Das Gymnasium bei St. Anna 51–66
- Humane Bildung und ihre prägenden Lehrer
- Pfarrer Julius Hans und sein Konfirmand
- 67–73 3. Die ersten Anderen: Katholische Patres und «Kinder der Welt» 67–73
- «Dieser Feind»: Studium bei den Benediktinern
- «Ganz kolossale Arbeit»: Vom Einjährigen zum Reserveoffizier
- 74–99 4. Auf dem Weg zur Wahrheit: Das Studium 74–99
- Erlangen: Theologische Altertümer
- In der Uttenruthia: Freiheit, Liebe, Wahrheit
- Freundschaftskult und «kitzliche» Themen
- wissenschaftlichen Lebens
- Göttingen: Ritschls Blickverengung und ein akademischer Preis
- Lektüren: Hass auf Hegel, Einkehr bei Homer
- «Theoretisch Skeptiker, praktisch ein gewöhnlicher Frommer»
- 100–117 5. Vikar im Glaspalast 100–117
- Prüfungen: Dem «Vorzüglich» nahe bei mangelnder Einfalt
- «Freier Theologe»: Predigerseminar und Vikariat
- Moderne Kunst, das Leben und die Religion
- 118–142 6. Die «Kleine Göttinger Fakultät» 118–142
- Stress für alle: Privatdozenten
- Theologische Ideengeschichte: Die Dissertation über Johann Gerhard
- Weihestunden für potentielle Gefährder
- «Revolution der Geister» und akademisches Abseits
- Vorzüglich mit erheblichen Bedenken: Die Anstellungsprüfung
- Pietistische Sprache: Troeltschs Examenspredigten
- 143–162 7. Luthers Glaubenswacht am Rhein: Extra-Ordinarius in Bonn 143–162
- Auf Betreiben des Ministeriums
- Christliche Weltanschauung und moderne Ideale
- Jenseits der Theologie: Neue Netzwerke und Freundschaften
- Grafes Gastfreundschaft und die Bonner Theologen
- Zwangloser Gemeingeist: Die Schweiz-Reise
- 163–206 8. Seelische Revolutionen: Jungordinarius in Heidelberg 163–206
- «Kirchhofsfrieden»: Die Theologische Fakultät
- Exzentrisch, wohlhabend, geistreich: Die Freunde
- «Ihr Mann ist mir ein geistiges Schicksal»: Marianne und Max Weber
- Vorlesungen und Fidulitäten
- Utopie vom kirchenfreien Christentum: Die Rothe-Feier
- Deutsches Blut und deutscher Geist: Bei den Siebenbürger Sachsen
- «Hemmnisse und Schwierigkeiten»: Die Ehe
- Den Gemeinsinn steigern: Politische Ethik und Christentum
- Vom Wanderprediger Jesus zum Christuskult der Gemeinde
- «Eine neue Phase des Christentums»: Modernistische Netzwerke
- 207–224 9. «Es wackelt alles»: Der Neubau der Theologie 207–224
- Protestantische Theologie im Deutschen Kaiserreich
- In Dialog und Streit: Auf dem Weg zu einer historischen Theologie
- Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte
- Distanz gewinnen: Religionsphilosophische Skizzen
- 225–255 10. «Meet me at the Fair»: Reise in die Neue Welt 225–255
- Weltausstellung und wissenschaftliche Leistungsschau
- Geld und Ehre
- Vorbereitungen, Überfahrt und Ankunft in New York
- Ein Stück Heimat unweit der Niagara-Fälle
- Überforderung Chicago
- Ausstellung und Kongress in St. Louis
- Washington, Neuengland und Rückkehr nach Europa
- 256–276 11. Arbeit am Protestantismus 256–276
- Der «unaustilgbare Pluralismus der historischen Wirklichkeit»
- Arbeit am Begriff der Moderne
- Gegen protestantische Geschichtsmythen
- Protestantismus und Moderne: Zwei Schlüsseltexte
- Calvinismus, du hast es besser: Religion und Liberalismus
- «Weber-Troeltsch»: Keine gemeinsame Firma
- 277–295 12. Geistesgegenwart im «Weltdorf» Heidelberg 277–295
- Eranos: Elitäre Geselligkeit
- Im Maschinenraum der Ideen: Die Treffen der Eranisten
- Vereine, Kränzchen, Zeitschriften
- Im Salon der Webers
- Bitte wertfrei: Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie
- 296–323 13. Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen 296–323
- Das Christentum und die unteren Klassen
- Ein ungeschriebener Verriss und eine Artikelserie
- Christliche und weltliche Vergesellschaftungen
- «Von der Urzeit bis zum Beginn der modernen Zeit»
- Von der Artikelserie zum Buch
- Die Erfindung des christlichen Naturrechts
- Kirche – Sekte – Mystik
- Ein Kultbuch der Jugend
- Die Augustin-Studie, viel Beifall und Ruhm
- 324–355 14. Viel Kapital: In Heidelberg ganz oben 324–355
- Reden, Kränze, Huldigungen: Ein Jahr Prorektor
- Peinliche Konkurrenz: In der Philosophischen Fakultät
- Der Übergang nach Berlin
- Vom Sein zum Sollen: Der Freund Georg Jellinek
- Gelehrtenökonomie: Gehälter und Honorare
- Frauenrechte und Mission: Kirchenpolitische Positionen
- Zu den Waffen für die Freiheit: Troeltschs Kriegsrede vom 2. August 1914
- 356–383 15. Die Dinge aus der Nähe kennengelernt: Im Karlsruher Ständehaus 356–383
- Konservativer Fortschritt
- Die Wirklichkeit ist komplizierter
- Netzwerke und Standpunkte
- Konfessions- und Kulturkämpfe
- Antiklerikale Fakultätspolitik
- Von Neckarschiffern und Prostituierten
- 384–422 16. Vom wilhelminischen Mandarin zum Großstadtintellektuellen: Ordinarius in Berlin 384–422
- Diners, Teegesellschaften und Spaziergänge
- Mittwochabend: Hans Delbrücks politisch-militärischer Zirkel
- Willkommen im Klub: Die Deutsche Gesellschaft 1914
- Gelehrte Gesellschaften und karitative Vereine
- Entspanntes Tatchristentum aus dem Geist Rudolf Steiners
- Die «Anarchie der Werte» meistern: Vulkanische Vorlesungen
- Das Abendland und der Krieg: Die Kaisergeburtstagsrede
- Historisierendes Globetrottertum: Die geschichtsphilosophischen Seminare
- 423–445 17. Deutscher Geist und Westeuropa: Im Großen Krieg 423–445
- Kriegsautor an der Heimatfront
- Gegen ein nationales Christentum
- Deutsche Freiheit im Konzert der Völkerindividualitäten
- Der Primat des Politischen und die Kriegszieldebatte
- Deutschland und die «atlantischen Großmächte»
- Demobilisierung der Geister: Der Volksbund für Freiheit und Vaterland
- 446–461 18. «Ein Saustall»: Zwei Jahre im preußischen Kultusministerium 446–461
- Kirchenpolitische Fronten
- Als Staatssekretär gegen den Oberkirchenrat
- Pragmatismus in Schulfragen
- Weitere Pflichten und Erfolge
- 462–481 19. «Die ganze Welt wird anders»: Berliner Spectator 462–481
- «Mittebildung»: Zeitdiagnostik für die Republik
- Kontakte und Informanten
- Neue Weltlage und internationale Kämpfe
- Gegenrevolution und Bürgerkrieg in Berlin
- Verachtung für das Bürgertum, Kritik am System
- Die Ordnungskräfte für die Republik versammeln
- 482–497 20. Die zweiten Anderen: Troeltschs Juden 482–497
- Streit um die Propheten Israels
- Kein Sinn für das Substanzielle: Antijüdische Stereotype
- «Jüdisches Problem» und «nationale Kultur»
- «Ein heißes Würgen in der Kehle»: Der Mord an Walther Rathenau
- 498–529 21. Gelehrtenrepublikanismus: Demokrat in vielfältigen Rollen 498–529
- Den Wandel gutheißen: Der Demokratische Volksbund
- Politik als Nebenberuf: Arbeit in der DDP
- Versöhnung mit dem Ausland: Reisen und Besuche
- Ämter und Würden
- Neue Weste, neue Gedanken: Britische Reisepläne
- Westeuropäische und deutsche Ideenwelt: Ein folgenreicher Vortrag
- Irdische Sorgen und der Berg der Läuterung
- «Befiehl du deine Wege»: Ehekrise, Erschöpfung, Tod
- 530–542 22. Dies tat man zu seinem Gedächtnis 530–542
- «Das war ein Mann!»
- Christian Gentleman: England und Amerika trauern
- Das Schicksal des Grabes
- 543–550 Epilog: Troeltschs Gott als Individualitätsgarant 543–550
- 551–638 Anhang 551–638
- Dank
- Anmerkungen
- Bildnachweis
- Personenregister
- 639–670 Bildteil 639–670
- 671–671 Zum Buch 671–671
- 671–671 Über den Autor 671–671